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Donnerstag, 18. September 2008

Chaostheorie

Etwas, was mir hier jeden Tag auffällt und mich von Tag zu Tag mehr fasziniert, da ich merke, dass es keine einmaligen Beobachtungen sind:
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In Gangnam wird gegen den Großstadtdschungel vergleichsweise organisiert durchgegriffen. Dieser Unterschied ist mir jetzt erst so aufgefallen und ich komme zu dem Schluss, dass die Stadtverwaltung in Seoul wirklich kaum Einfluss auf die Stadt hat. Kann sie auch nicht. Noch viel mehr als in Berlin, wo es mehr über die Identitäten der Kieze geht, hat in Seoul jeder Bezirk eine gewisse Macht und durch die Einwohnerzahl (und somit das Steueraufkommen) eine gegebene Autorität, die er einsetzen kann - oder eben nicht. Das hat nichts mit Parteien zu tun, sondern mit Geisteshaltungen und Organisationsstrukturen. Meines Wissens nach sind alle Bezirksbürgermeister Seouls und alle Mehrheiten in den Bezirksverordnetenversammlungen bei der konservativen Hannara. Trotzdem sind die Unterschiede in der Verwaltungseffizienz doch gewaltig.
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Was mir, während ich in Gangbuk (dem nördlichen Teil der Stadt) wohnte, nie aufgefallen war, ist, dass Gangnam wirklich extrem gut organisiert und so sauber ist wie es ein Stadtteil mit einer Tagesbevölkerung von knapp 2.5 Millionen Menschen ohne Polizeistaat im Hintergrund sein kann. In Gangbuk hingegen steigt in der Sommerhitze komischer Geruch aus den Gullis hoch, Müll liegt herum. Ich habe nie ganz verstanden, warum meine Freunde aus Gangnam mich immer als eine Art "Romantiker" verspotteten, weil ich Gangbuk und insbesondere das alte Zentrum so gern mag. Es ist wirklich ein großer Unterschied.
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Seit ich nun hier in Gangnam wohne, tauchen immer wieder mir unbekannte Autos und Uniformen auf. Es sind Dinge, die ich in einem Jahr Gangbuk nie gesehen habe: Mobile Falschparkerblitzer, Reinigungsroboter, Straßenreinigungspatrouillenwagen, Bürgersteigdruckstrahlreiniger. Die Parkplätze sind nicht nur genau eingezeichnet - steht ein falsches Auto ist innerhalb einer halben Stunde der Abschleppwagen da wie ich heute beim Übersetzen auf dem Dachgarten beobachten konnte. Geschäfte stellen ihre Tische oder Auslagen innerhalb festgelegter Grenzen auf. Die Müllabfuhr kommt bereits am späten Abend, holt die Abfälle ab, die im übrigen auch nicht für jede Ratte fressbar in Plastikbeuteln am Straßenrand liegen, sondern in hohen Plastiktonnen verstaut sind. Danach kommt die Reinigung und spült die Straßen durch.
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Und was ich dabei betonen möchte: Es zerstört das Märchen, dass Unordnung und Korea zusammengehören. Die Nebenstraßen Gangnams sind trotzdem koreanisch, immer noch ein wenig improvisiert und recht unübersichtlich. Aber man erkennt eine gemeinsame Linie. Über Rote Ampeln wird hier genauso gefahren, aber dass man auf dem Bürgersteig plötzlich vor einem Auto steht, das mit 20 Km/h angebraust kommt, das ist hier nicht so oft der Fall. Und Falschparken wie gesagt habe ich nur 3 Mal gesehen innerhalb 3 Wochen - da gibt es in Deutschland mehr von.
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Also meine wirren Beobachtungen mal systematisch zusammengefasst:
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1. Die Stadt Seoul kann noch so viel planen, wenn sie den Bezirken nicht die nötige Autonomie (Süden) oder auch die nötigen Mittel (Teile des Nordens) gibt , um die vielen guten Ideen umzusetzen, die die Stadtverwaltung hat. In diesem Sinne hat auch die Schaffung von Stellen wie meiner als Ausländerkorrespondent keinen Sinn, wenn sich niemand drum kümmert, dass Ideen in jedem einzelnen Dong umgesetzt werden. Eine Stadt wie Seoul ist als Ganzes einfach nicht zu verwalten. Lokale Autonomie hingegen ist in Korea wie in Seoul noch ein relativ neues Konzept, mit dem viele der alten Beamten sich nicht anfreunden können oder möchten.
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2. Was der Norden (bzw. Teile desselben ebenso wie Teile des Südens) meiner Meinung nach also braucht, ist also eine solche systematische Umsetzung teils sehr einfacher Prinzipien, die nicht viel kosten, sondern nur eine vernünftige Planung erfordern. Sicher ist das einfacher, wenn der Bezirksbürgermeister nicht ein altgedienter Bürokrat des Entwicklungsstaates ist, sondern ein weitgereister Geschäftsmann mit internationaler Ausbildung wie das in vielen Bezirken inzwischen der Fall ist.
Gleichzeitig müssen Bezirke wie Gangnam (oder gerade Songpa) aufpassen, nicht an Charakter zu verlieren. Chaos ist nichts Koreanisches, Ordnung nichts Westliches, aber ein gewisses Maß an Unordnung führt auch zu Kreativität und Eigendynamik, wie man sie z.B. Vierteln wie Samcheong-dong und Hongdae sieht. Mit strikter Stadtplanung, dem unsäglichen "Redevelopment" und ähnlichen Scherzen bekommt man das auch nicht hin.
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